- minoische Kultur: Palaststil und Kriegergräber - Das Ende
- minoische Kultur: Palaststil und Kriegergräber - Das EndeUm 1450 v. Chr. fielen die kretischen Paläste und Siedlungen einer Brandkatastrophe zum Opfer. Allein die Residenz von Knossos überlebte noch ohne größere Beeinträchtigungen bis etwa gegen 1375/1350 v. Chr. In dieser Zeit wandelte sich der Charakter der minoischen Kunst. In der Vasenmalerei entstand der Palaststil, dessen Werkstätten in Knossos liegen. Er ist in seinen floralen Motiven und Meeresbildern durch größere Starrheit und Schematisierung geprägt. Die Komposition lässt eine Neigung zu Reihung und gleichförmiger Wiederholung, zu Symmetrie und verstärkt zu strenger Gliederung erkennen. Obgleich die Vasenmalerei des mykenischen Festlandes aus dieser Zeit ähnliche Tendenzen offenbart, entwickelte sich der Palaststil doch wohl unabhängig davon aus Tendenzen der spätesten minoischen Vasenmalerei vor 1450 v. Chr., die bereits eine ähnliche Neigung zu formaler Verfestigung und Erstarrung erkennen lässt. Der Palaststil traf sich eher zufällig in seinen strukturellen Prinzipien mit dem Stil der gleichzeitigen griechischen festländischen Kunst. Zur selben Zeit aber machte sich erstmals in der Geschichte des 2. Jahrtausends v. Chr. auf Kreta ein kultureller Einfluss des griechischen Festlandes bemerkbar. Minoische Vasenmaler übernahmen von mykenischen Ateliers die ephyräische Gattung, die vor allem durch becherartige Trinkgefäße repräsentiert wird. Die Wandung dieser Becher trägt auf dem hellen Tongrund ein groß gezeichnetes, ornamentales oder vegetabiles Einzelmotiv, das frei, ohne Rahmung oder Füllelemente erscheint. Mit der Übernahme dieser Gattung auf Kreta geschah kulturgeschichtlich etwas völlig Neues. Nicht mehr die minoische Zivilisation war nun der künstlerisch überlegene, gebende Partner im kulturellen Austausch, sondern das mykenische Festland.In dieser Periode begegnen einem auch erstmals auf der Insel Kreta, im Raum von Knossos, aber auch an anderen Fundorten wie zum Beispiel in Phaistos oder Chania, eine größere Zahl von reich ausgestatteten Grabanlagen. Die Grabformen - meist Schacht- und Felskammergräber - führen mykenische Prototypen fort. Die Ausstattung dieser Gräber mit umfangreichen Waffeninventaren, darunter Lang- und Kurzschwerter, Stoßwaffen und Wurfspeere sowie Schmuck und andere Kostbarkeiten, ist untypisch für das minoische Kreta. Grabbeigaben in Form von Waffen sind jedoch in der mykenischen Kultur seit dem 16. Jahrhundert v. Chr. üblich.Diese Befunde lassen vermuten, dass in der Zeit nach 1450 v. Chr. bereits mykenische Fürsten im Palast von Knossos residierten. Eine zweifelsfreie Datierung der Linear-B-Tafeln aus Knossos, die Auskunft über den Beginn der mykenischen Herrschaft auf Kreta geben könnte, ist jedoch bisher leider nicht möglich. Auch das Ende des Palastes von Knossos selbst wird weiter diskutiert. Es ist sicher, dass der Palast in den Jahren um 1375/1350 v. Chr. Opfer einer Brandkatastrophe wurde. Ob es sich dabei um eine Naturkatastrophe oder die Folgen innermykenischer Auseinandersetzungen handelte, bleibt offen. Die minoische Kultur wird in der Folge durch einen hohen Grad von Provinzialität und Zurückgezogenheit gekennzeichnet. Anzeichen für ein von der Palastkultur geprägtes Leben scheinen auch im Vergleich zu den festländischen mykenischen Residenzen nicht mehr deutlich. Die Zahl der Außenkontakte Kretas ging nach der Katastrophe deutlich zurück. Gleichzeitig besetzten mykenische Griechen die minoischen Vorposten in der Ägäis; sie übernahmen in der Folge den Handel mit Ägypten, Zypern und der Levante. Kreta spielte als politischer Faktor nach 1350 v. Chr. keine entscheidende Rolle mehr in der Ägäis.Obwohl die nachpalaziale minoische Kultur nach 1350 v. Chr. ihre künstlerische Eigenart bewahrte, übernahm sie auf der anderen Seite auch festländische Elemente. In der Architektur dieser Zeit zeigen sich griechisch-festländische Bautypen, die sich von der mykenischen Megaronarchitektur ableiten, beispielsweise in Gurnia oder Platy in der Lassithi-Hochebene. Die Vasenmalerei unterlag einem Prozess der Vereinfachung des Ornamentschatzes und glich sich vor allem im 13. Jahrhundert v. Chr. mykenischen Vorbildern an. Künstlerisch waren nun die mykenischen Zentren führend.Auch das Siedlungswesen änderte sich in der Spätzeit. In der Zeit zwischen dem 13. und 11. Jahrhundert v. Chr. wurden die politischen Verhältnisse in der Ägäis instabil. Wandernde Völker und plündernde Seeräuber machten offenkundig die Küstenstriche unsicher. In vielen Gebieten Kretas begann daher eine Verlagerung der Siedlungsplätze weg von der Küste oder den küstennahen Ebenen in das schwer zugängliche Hochland. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet Palaikastro im Osten der Insel. Die meeresnahe, in der Ebene gelegene, großräumig geordnete Siedlung, die seit der minoischen Palastzeit existiert, wurde aufgegeben und die Bevölkerung zog sich auf einen benachbarten, steilen, durch die Natur geschützten Hügel zurück. Gleichzeitig wurden Rückzugssiedlungen im unzugänglichen Bergland angelegt, wobei der Nachteil einer unsicheren Trinkwasserversorgung vielfach inkauf genommen wurde. Zu den bekanntesten Beispielen solcher Rückzugssiedlungen gehören Kavusi und Vrokastro im Osten Kretas und Karphi am Nordrand der Lassithi-Hochebene. Es handelt sich immer um kleine Siedlungseinheiten mit dürftigen Hausbauten, die gelegentlich noch durch eine Ummauerung geschützt werden. Die Siedlungen liegen alle auf schroffen, unzugänglichen Hügeln. Diese Siedlungsform setzte sich auf Kreta in der Früheisenzeit im beginnenden 1. Jahrtausend v. Chr. fort, bis dann mit dem Entstehen der ersten griechischen Stadtstaaten ein kultureller Neubeginn einsetzte.Prof. Dr. Hartmut MatthäusDemargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts.München 1965.
Universal-Lexikon. 2012.